/ d e sattler - entwuerfe publikationen / im rundfunk /


Schlußpfiff

Im dunklen Wasser des Grabens stehen schwarz die stummen Fische, und unweit davon, am abschüssigen Ufer, sitzen zwei Angler und fangen hoffentlich nichts an diesem stillen Abend. Noch glänzt die Sonne, aus fast zu klarem Himmel, über diese Stadt, und kaum bewegt sich heute ein Blatt. Aus der Tiefe des Weltraums nähert sich ein Komet den Monden des Jupiter. Und in der Ozonluft kreischen die Mauersegler.

Wie schnell sich doch das aufgeregte Herz beruhigt. Wie leicht läßt sichs in Fesseln schlagen, und wie leicht streift es die lästigen in einem Augenblick der Ruhe ab. Noch nicht zwei Stunden, da näherte sich Rolf Aldag in einem auch vom Hubschrauber aus gut erkennbaren, weiß-pink-farbenen Trikot, zusammen mit dem Dänen Hamburger, dem Franzosen Leblanc und einem Kolumbianer, dessen Name mir entfallen ist, wie derjenige des Schiedsrichters, der es anpfiff, das Viertelfinalspiel in New York, das wir gerechterweise, wie Sie alle wissen, verloren haben, der Ziellinie in Perigueux. Noch war das Maillot jaune und damit auch das Plüschtier von Credit Lyonnais im Bereich des Möglichen, das die gelbgekleideten Miezen, zum Lohn unsäglicher Strapazen, ihm überziehen werden, die Küßchen rechts und links, und endlich auch einmal Moneten für die Mannschaft, nachdem es Olav Ludwig nicht gelingt und Kappes noch nicht einmal mitreiten darf bei dieser Tour de France. Aber das Feld jagte, geführt von der MG-Mannschaft, heran, und in der vierten Minute, als der Schuß vom Fuße eines Bulgaren an den linken Pfosten krachte, war erstmal dieser Traum zerstoben. Nicht weit davon das Schloß des vom Steinleiden geplagten Philosophen Michel Eyquem Seigneur de Montaigne.

Ach, das waren noch Zeiten, als deutsche Länderspiele in Bremer Wohnstuben entschieden wurden. Als in der Paris geborene, nach England exilierte und endlich in der Donandtstraße wohnende Alfred Sohn-Rethel noch lebte, der erstmals es aussprach, daß Geld dasselbe ist wie Abstraktion, ein Nichts gesetzt an die Stelle der Dinge. Und wie zornig er uns anfunkelte, als wir, Bettina, Margret und ich, die 'Mayonaise' sangen, als die strammen Jungs so schön in einer Reihe standen: 'Deutschland, Deutschland wird gewiehennen uhund Frankreisch wird verliern!' Aber gewirkt hats doch, denn wie die Flüsse ihr Bett verlassen und Sommer, Winter, Herbst und Frühling sich verwechseln, wenn Titania und Oberon sich streiten, so flog der Hauch von dieser beispiellosen Blasphemie ins ferne Spanien, und über Frankreichs Nationalmannschaft, wenn auch nur mühsam im Elfmeterschießen, triumphierten schließlich wir. Doch mit den kleinen Zaubereien ist es längst vorbei. Zu generalstabs-, zu mittel-, zu handwerksmäßig längst das Ganze.

Nichts gegen das gute ehrliche Handwerk. Aber Manndecker siehst du, keine Stürmer, Intriganten siehst du auf dem geschachten Rasen, die für den rechten Flügel, als dort einer stand, der die Kumpane überflügeln könnte, keine Bälle übrig hatten. Und ehrenwerte Präsidenten, die den Spruch 'non olet' oder 'Geld stinkt nicht' besser kennen als wir alle, gebärden sich, wenns um den ehrenwerten Anschein geht, wie weiland Pastor Arnold Dannenmann, als er den Ungezähmten aus einem württembergisch-christlichen Internatsverband verwies, mit ähnlich aufgeblasnen Redensarten, in ähnlich aufgedonnerter Empörung. Zum Glück für mich und doch so widerwärtig, namenlos bigott.

'Das ist deutscher Fußball, und wenn man gewinnt, gibt es furchtbar wenig Argumente dagegen.' So Marcel Reif, als es zu klappen schien mit der Mauer. Der kluge Satz ist umkehrbar. Nein wahrhaftig! bei dem dämmernden Grün vor meinem Fenster – nimmermehr heiligt der Zweck die Mittel, und immer übersteigt der angerichtete Schaden den temporären, den zweifelhaften Erfolg. Ich bin geheilt und habe Zeit gewonnen, für Besseres. Nie wieder sollt ihr mich vor einem Mikrophon von Fußball reden hören.

Morgen freilich sitzt du wieder an derselben Stelle deiner Camera obscura, kehrst dem Licht den Rücken und starrst wie blöde auf die Schattenbilder, auf ein Leben, das nicht deines ist. Denn morgen gehts von Perigueux nach Bergerac. Und Werder Bremen, weißt du aus dem Sportidiotenteil der Tageszeitung, trainiert schon wieder auf dem Nebenplatz.