W. D. DER VERKLEIDETE MEISTER
Im Innern jenes Korridors gelangt er zu einer verschlossenen Glastür, hinter den, wie in Berliner Wohnungen, der Gang sich fortsetzt und andere Türen sichtbar werden; die meisten im Schatten, die wenigsten halb oder spaltbreit geöffnet. Hier steht der Nachgeborene und späht, durch den ornamentalen Zierat der Scheiben, ins Nichtmiterlebte. Er sieht, was er sehen soll, und das ist verwirrend genug
So zu lesen im schönsten
seiner zumeist vergriffenen Bücher, das die Hand des gelernten
Typographen verrät (Berlin. Kunst und Künstler seit
1870, Recklinghausen 1961), der 1924/25, im Bunde mit Jan Tschichold,
an der Leipziger Akademie für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik
sein über zehn Jahr sich hinstreckendes, durch Ortswechsel
und allerlei Eskapaden unterbrochenes, im übrigen immer
zweigleisiges Studium begonnen hat. Theorie und Praxis, anderswo
als Widerspruch empfunden, halten sich hier die Waage, sind auf
wahrhaft artistische Weise miteinander verquickt. Zwischen 1932
und 1935 bringt er das Kunststück fertig, diesseits des
Rheins die freien Künste und jenseits desselben die Kunstgeschichte
zu studieren, gleichzeitig wohlgemerkt: in Düsseldorf bei
Campendonk und anderen, in Köln bei Koemstedt. Dazwischen
lebt der in Posen Geborene, im thüringischen Kahla und Erfurt
Aufgewachsene, bei entschiedener Abstinenz im Aufgeregtpolitischen,
meist in Berlin, wo ihn der phantasiebegabte Ohrenzeuge durch
jene halbgeöffneten Zimmertüren sieht; im Umgang mit
russischen Emigranten, ihren schönen, aber unglücklichen
Schwestern und Frauen, mit jüdischen Freunden und Universitätsprofessoren,
die ihn wohlwollend ermahnen und dem Hochbegabten die Studienstiftung
des deutschen Volkes vermitteln. 1929 eilt der junge Künstler
zur Eröffnung seiner ersten Ausstellung nach Erfurt, die
er Walter Passarge verdankt, dem späteren Mannheimer Museumsdirektor.
Eingebettet dies alles im kosmopolitischen, megalomanischen Traum
der Zwanziger Jahre, der amorphe und kristalline Strukturen in
Einklang zu bringen und, für einen optimistischen Augenblick
zwischen zwei furchtbaren Kriegen, die gewachsene Natur mit den
Errungenschaften des industriellen Zeitalters zu versöhnen
vermochte. Dieses instabile Gleichgewicht, das im Deutschland
der Weimarer Republik (oder des Bauhauses) einmal aufgeschienen
war, bildet sich in Werner Doedes Collagen und Zeichnungen gleichsam
seismographisch ab. In jeder dieser Arbeiten sind, wie oft, im
Nachhinein exemplarisch wirkend, die heterogensten Bildelemente
zum Ausgleich gebracht: Kurven und Geraden, figürlicher
Inhalt und Abstraktion, irrationaler Duktus und konstruktives
Kalkül. Daß Synthesen dieser Art, ihrem eigentümlichen
Charakter nach, immer diskreter sind als die puristische Fixierung
ihrer Momente auf dem extremsten Punkt der Vereinzelung, ist
nebenbei anzumerken
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