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Clavis Hoelderliniana

13  Quasizeigakt

Die Binsenweisheit, daß Sekundärliteraturen ihre Texte primär nehmen müssen, hat unbedachte Konsequenzen. Der Interpret muß die Dienstbarkeit seines Autors zu Quellentexten umkehren; daß dieser, anderes kommentierend, sein Mitknecht sei, so hoch wagt er sich nicht zu setzen, andererseits möchte er keinen Diener bedienen. Philologische Unterwürfigkeit wiederholt darin das unrodbare Phänomen der Hierodulie: verkehrte Liebe formt sich den Mittler zum Götzen. Tritt die Quellenabhängigkeit des Autors an einer Stelle deutlich zu Tage, überträgt der Interpret das abgründige Spiegelbild seiner Devotion auf das Verhältnis des Idols zu den Primärtexten, als habe der Dichter unbewohnte Vesten ruiniert, um sich sein Raubschloß zu bauen, als sei das Gedicht ein abgeschröpfter Mehrwert und folge damit der geheime Traktamentsmaxime: Nützlichkeit aus Unnützem. Der Dichter muß den Demiurgen vertreten; zitiert er, so willkürlich, um aus dem Überlieferten seine subjektiven Eingebungen zu amalgieren. Dies vorausgesetzt, wird der philologische Quellenhinweis zum unnützen 'Quasizeigakt' (1), dem der Sinn des Quellentextes nichts bedeutet gegenüber dem Meer perfektibilisierter Erkenntnis. Dem pervertierten Zeigen korrespondiert pervertiertes Lesen, den quasizeigaktischen Quellenhinweisen quasilesaktisches Quellenstudium mit Hilfe Grimmscher Thesauren und Konkordanzen. Dagegen hat sich Hölderlin einen Dienenden (2) genannt und mehrfach angewiesen, wie zu lesen sei. Liebe 'heftet fleißige Augen'. (3) 'Stillleuchtende Kraft fällt' den Weltvergessenen aus 'heiliger Schrift.' (4) Religöser Atavismus solcherart paßte schon nicht in das vorige 'Klugheitsjahrhundert', gegen das er zuletzt 'durch das Fenster' predigen wollte, (5) erst recht nicht in dieses. Der 'Stab des Gesanges', eine Devotionalie von ungeheurem Wert, darf nur quasizeigaktisch winken.

(1) Fritz Zimmermann, Episches Präteritum, episches Ich und Epische Normalform. Poetica Juli 1971, S. 309
(2) AN DIE MADONNA; St.A. 2,1 S. 211
(3) ANDENKEN; M. Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Frankfurt 1971, S. 81
(4) PATMOS 1. Fass.; St.A. 2,1 S. 194
(5) Notiz über dem Entwurf DEM FÜRSTEN; St.A. 2,2 S. 882