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POSITIONEN
III / 15-19

PS   'Die bisherigen Bände […] über das Bisherige hinauszugehen versucht.'; 13 zeilen; fragt, ob durch den zu konstatierenden bruch zwischen den bisherigen und den baenden 7/8 diese der 'Konzeption der 'Stuttgarter Ausgabe'' wieder naeher stuenden und damit die 'entschiedene Opposition' der frueheren wieder aufgegeben sei; in ihrer bisherigen 'Bezogenheit der Bände auf Gattungen' blieben sie 'im eher konventionellen Rahmen'; durch den 'Gestus der Überbietung' blieben beide ausgaben, bei 'allen Unterschieden in den Konzeptionen der Textdarstellung', 'in gewisser Weise verbunden'; jener gestus zeige sich schon 'bei den Entzifferungen', mit denen die FHA ueber den stand der StA hinauszugehen suche


15  HEKATOMBE FUER B.

Kaum anderthalb Jahrzehnte nach Erscheinen des letzten von Friedrich Beißner herausgegebenen Textbandes, noch während Adolf Beck den letzten Supplementband der Stuttgarter Ausgabe vorbereitete, erschien der Einleitungsband zur Frankfurter Hölderlin-Ausgabe. Die erste Reaktion war geteilt. Vordergründig entzündeten sich die Kontroversen an einer befürchteten einseitigen Politisierung des Dichters; die tiefergehende Verbitterung ging jedoch von dem Umstand aus, daß einer ganzen Philologie die Ausgangsbasis ihrer exegetischen Wegelagerei entzogen wurde – dies, obwohl anfängliche Angriffe aus den eigenen Reihen zum Schweigen gebracht und das Modell der Stuttgarter Ausgabe zum Muster großangelegter Editionsunternehmen erklärt worden war. In dieser Konstellation konnte die Bewegung, in der sich die Hölderlin-Rezeption noch immer befindet, als Teil jenes undialektischen Stellungskrieges begriffen werden, den die ideologisierten Mächte und ihr intellektueller Anhang gegeneinander führen. Wenn überhaupt etwas, ist das Gegenteil die werkimmanente Tendenz: Bildung eines dialektischen Gewissens, dem besinnungslose Feindschaft unmöglich wird. Seit die Stuttgarter Ausgabe konzipiert wurde, ist nicht nur das szientifische Textbedürfnis kritischer, selbständiger und anspruchsvoller geworden. Vorzugsweise für diese imaginärneuen Leser wurde die Frankfurter Ausgabe geplant. Nur insofern war sie ein Gegenentwurf zur Stuttgarter Ausgabe, ohne deren Existenz sie undenkbar wäre, und mit der sie, zusammen mit allen früheren Editionen, eine historisch folgerichtige Kette bildet.

d e s, MLN, april 1979, volume 94, no. 3, german issue, p 601-606, und 144 fliegende briefe, 97-101 / Fünf / Marginalien / zur / Ausgabe, 1981, p 447-456


WG   'Diese Frage benennt […] bei den bisherigen.'; 13 zeilen; stellt fest, dasz der 'Konflikt, den die 'Frankfurter' mit der 'Stuttgarter' Ausgabe von Anfang an hatte', darin bestand, dasz sie 'keine direkte Gegenedition' entwickelte, sondern sich, dieser aehnlich, lediglich 'um den besseren Text' bemuehte; auch aehnele ihr ordnender 'Zugriff auf dieses Chaos von Handschriften' dem der stuttgarter ausgabe; mit 'Gesänge' sei 'diese Nichtgattung als Gattung genommen' und damit eine oberflaechliche bindung an die bisherigen baende hergestellt


16  GEGENENTWURF

nach der natur der sache koennen die aneinandergereihten behauptungen wolfram groddecks nicht in gleicher kuerze berichtigt werden; ich denke, es waere besser, von einem gegenentwurf zu sprechen; der erste blick auf das scheinbare chaos der seite 74 des homburger foliohefts und der vergleich mit dem edierten text friedrich beiszners ueberzeugte mich davon, dasz eine angemessenere edition dieser manuskripte nicht ohne deren abbildung und diplomatische wiedergabe moeglich sei; das war im september 1972; ich sah, dasz ein groszer teil des geschriebenen auf dem weg zum zitierfaehigen text eliminiert wurde und so die hoelderlin-leser immer noch nicht erreichte; das ergebnis war ein editorisches modell, das, wenigstens zum teil, auch von den hier zu gericht sitzenden editoren uebernommen wurde


17  TEXT UND LESART

inzwischen weisz ich besser, was ich damals tat; die schon im einleitungsband von 1975 geaeuszerte editionsmaxime 'Die Textsynthese darf um so kühner sein, je offener sie sich der Kritik stellt' stellt ja den text des editors zur disposition und impliziert damit die erst 20 jahre spaeter ausgesprochene umkehrung der fuer die frueheren editionen charakteristischen kategorien 'lesart' und 'text'; danach ist bei diesem nachlasz der vom herausgeber gelesene text potentiell nichts weiter als eine aus der komplexen matrix gewonnene lesart und das ueberlieferte in allen seinen formen der text, vor welchem die lesart sich bewaehren musz; wenn je ein motto am richtigen ort erschien, so dieses auf der rueckseite des einleitungsbandes gedruckte:

Ihr Blüthen von Deutschland, o mein Herz wird
Untrügbarer Krystall an dem
Das Licht sich prüfet

wenn 'Licht' fuer die erkenntnisfaehigkeit kuenftiger leser und 'Herz' fuer den gesang des dichters steht, benennt der untruegbare 'Krystall' dessen in der handschrift vor augen liegende erscheinungsform; was daran sekundaer, was primaer oder gar chaotisch ist, hat wolfram groddeck noch zu erlaeutern


18  BESSERER TEXT

ich bin nicht bereit, die edition ohne den dichter zu diskutieren, dem sie gilt; ganz oben auf jener seite 74 des homburger foliohefts heiszt es von den selbstredend metaphorisch gemeinten 'Staaren':

Und Ek um Eke
Das liebere gewahrend
Denn immer halten die sich genau an das Nächste,
Sehn sie die heiligen Wälder und die Flamme, blühendduftend
Des Wachstums und die Wolken des Gesanges fern und athmen Othem
Der Gesänge.

an zwei stellen beruehrt sich diese stelle mit dem fuenfzehnzeiligen, im 'Taschenbuch für das Jahr 1805. Der Liebe und Freundschaft gewidmet' erschienenen gedicht 'Lebensalter', an dessen schlechteren editionen wolfram groddeck auch eine vorstellung von besserem text entwickelt; bis auf 'seyd', 'Jetzt' und 'sitz'' scheint der gedruckte text der schreibweise des dichters zu entsprechen; erst bei edition der baende 7/8 'gesänge' erkannte ich, dasz hoelderlin mit dem orthographischen paradigma 'athmen Othem / Der Gesänge' das irregulaere an der wendung

Dieweil ihr über die Gränze
Der Othmenden seyd gegangen…

korrigiert; die substantivierte partizipialform von 'athmen' lautet nun einmal 'Athmenden' (und so steht sie auch nicht umsonst auf seite 74 unten):

Wahrheit schenkt aber dazu
Den Athmenden
Der ewige Vater.

dagegen schreibt hoelderlin auf seite 50 des foliohefts 'Die othemlosen –'; dasz die notwendige emendation dieser korrupten stelle selbst in wolfram groddecks nur den 15 zeilen von 'Lebensalter' geltender spezialuntersuchung nicht in betracht kam, ist fuer diesen augenblick der edition mindestens genauso signifikant wie der hinzugefuegte punkt im neunzeiligen 'Winkel von Hahrdt'; dies umsomehr, als das entstellte wort fuer hoelderlin zentral ist: 'Und was du hast, ist / Athem zu hohlen.' (S 70: 8.9); eben deswegen die zugleich einen terminus post quem anbietenden richtigstellungen des dichters auf p 74 des foliohefts; die edition, welche also nicht nur die schematisch behebbaren korruptele 'seyd', 'Jetzt' und 'sitz'' emendiert, sondern auch dieses symptomatisch falsche 'Othmenden' richtigstellt, hat demnach den besseren text, hinter welchem der groddecksche ansatz, trotz seiner gelehrigen und belehrenden attituede, zurueckbleibt


19  DIE DUNKLE STELLE

Jetzt aber sitz' ich unter Wolken (deren
Ein jedes eine Ruh' hat eigen)…

die dunkle stelle versuchte auch mich im einleitungsband zur annahme einer textverderbnis; sie ist die lichteste des gedichts und reichte mit dem eingeklammerten, wie beiseit gesprochenen zusatz aus, das verfahren der edition zu rechtfertigen; dann naemlich, wenn jene 'Wolken' mit dem geheimen, auf anderes deutenden verweis, nichts anderes als 'Wolken des Gesanges' oder 'Gesangeswolken' sind, wie es in einem der 'Griechenland'-segmente heiszt; doch dieses wenige ist fast schon zuviel und taugt nicht hierher

- fortsetzung -