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an dr charlie louth, 4. oktober 2002
mit der vorangegangenen korrespondenz

24. 9. 2002
From: Charlie Louth
To: des
Subject: gesaenge/junckherrott

sehr geehrter herr sattler,
gerade habe ich eine laengere rezension ihrer 'gesaenge'-baende fuer modern language review geschrieben, die wahrscheinlich erst naechsten sommer erscheinen wird. die rezension war zwischen bewunderung und ablehnung geteilt, wie sie es wohl nur erwarten koennen. bei der beschaeftigung mit ihrer arbeit ist mir immer wieder johann jacob junckherrott in den sinn gekommen. ich weiss nicht, ob sie ihn kennen. er hat in den jahren kurz vor 1732 eine sehr interessante uebersetzung des neuen testaments gemacht, die aus dem pietismus zu schoepfen scheint. die uebersetzung ist sehr selten, eigentlich kaum zu finden, da sie sofort beschlagnahmt und vernichtet wurde. ich habe mich gefragt, ob sie nicht in die reihe ihrer neuen bremer presse hineinpassen wuerde. es ist jedenfalls eine uebersetzung, die bekannter sein sollte:
Das | Neue | Testament | des HERREN Unserer | JESU | Christi, | Eigentlich aus dem Griechischen Grund-Text gedollmetschet und in | das Teutsche übersetzt, | durch weyland | Johann Jacob Junckherrott. | Gedruckt im Jahr 1732. | Zu haben bey Henrich Christian Schäffer | in Offenbach
vielleicht koennen sie ein exemplar ausfindig machen. es gibt eins in der british library, sonst habe ich kein anderes gefunden, habe aber nur ziemlich begrenzt gesucht. vielleicht ist das nichts fuer sie, ich habe nur davon gesprochen, falls das von interesse sein sollte.
bei der arbeit an der rezension sind mir folgende unaufgelistete fehler aufgefallen, die ich hier mitteile:
7/289, Z. 16: Weinststaig > Weinstaig
8/537: sie sprechen vom 'modernen orbis', als ob sie hoelderlin zitieren wuerden, aber er schreibt doch 'den hesperischen orbis'
8/741, am ende des 'summariums': intergriert > integriert
8/819, 4te zeile von unten des summariums: ([sigma] 256(1)) > ([sigma] 256(2))
8/837, segment 157(6), zwischen zeilen [126] und [127]: vgl (sigma) 152:118 > vgl (sigma) 155:118
auch fehlt ein sigma 4 zeilen tiefer vor 155:135
8/901, segment 221(1): einfuegungssort > einfuegungsort;
rechte kolumne: 342/2:30.31 > 324/2:30.31
8/947, mitte: Apoll > apoll
es ist mir auch unklar, ob es 'deutet auf das in wortpaar...' heissen soll und nicht eher 'auf das wortpaar'
mit freundlichen gruessen,
charlie louth


25. 9. 2002
From: des
To: Charlie Louth
Subject: Re: gesaenge/junckherrott

Sehr geehrter Herr Dr Louth,
vielen Dank für Ihre Zuschrift. Herr Sattler liegt zur Zeit im Krankenhaus und kann sie jetzt nicht beantworten. Ich habe aber Ihre freundlicherweise mitgeteilten Fehlerhinweise zu FHA 7/8 schon in die Liste 'korrigenda' (www.hoelderlin.de / hoelderlin quellen edition) aufgenommen.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Gerhard Steimer
Arbeitsstelle Historisch-kritische Hölderlin-Ausgabe
Rutenstraße 8
D-28203 Bremen


4. 10. 2002
From: des
To: Charlie Louth
Subject: Mit guter Stimmung, zu recht es legend

sehr geehrter herr Louth,
dank für Ihre die rezension der bände FHA 7/8 betreffende nachricht und den hinweis auf die 1732 gedruckte übersetzung des neuen testaments durch Johann Jacob Junckherrott; die nachsuche ergab, daß sich weitere exemplare auch in deutschen bibliotheken befinden, so in Augsburg, Dresden, Göttingen, Halle, Jena, Leipzig, München, Stuttgart, Weimar, Wolfenbüttel
mit dem neusatz und druck der 'Biblia deutsch' Martin Luthers als 22bändige 'Bremer Bibel', einem exerzitium, das ich nicht nur der Hölderlin-lektüre wegen für notwendig hielt und das ich mit der geplanten quartbibel zum abschluß zu bringen hoffe, bin ich schon damals an und über die grenze meiner physischen und ökonomischen möglichkeiten gegangen, so daß zusätzliche projekte dieser größenordnung für meine privatpresse nicht mehr in frage kommen
Sie schreiben mir, daß Ihre im sommer nächsten jahres zu lesende rezension 'zwischen bewunderung und ablehnung geteilt' ist; ohne Sie und diese arbeit zu kennen, frage ich mich, wozu auf der einen seite bewunderung, die ich mir nur rückhaltlos, und ablehnung auf der anderen, die ich mir ebenso nur als eine gänzliche vorstellen kann, der sache dienlich sein können; worauf ich vielleicht noch lange zu warten habe, wäre doch die prüfung des meiner edition zugrunde liegenden axioms, daß der dichter seine gesänge schließlich in segmentierter form notierte und der nur editorisch herzustellende rapport zwischen den topologisch und semantisch ungebunden scheinenden notaten von ihm selbst intendiert ist; daß also dem in der handschrift wahrnehmbaren phänomen der trennung ein künftiges der sammlung gegenübersteht; ich zitiere das 'selbstreferat' aus der beta-version des gesangs 'Tinian', (vide 'hesperische Gesänge' p 41 und 105)

                                                 …und Bienen,
Wenn die, vom Wohlgeruche
Trunken, der Geist, wie eines Ammenkinds
Der Sonne rühret, irren ihr nach
Die Getriebenen, wenn aber
Ein Stral brennt, kehren sie
Mit Gesumm, darob vielahnend

Die Eiche rauschet,
Wie Meeresküsten, wenn zu baun
Anfangen die und herein
Schifft unaufhaltsam, eine Pracht, das Werk
Der Woogen, eins ums andere, und die Erde
Rüstet sich aus, darauf vom Freudigsten eines
Mit guter Stimmung, zu recht es legend also
Schlägt es dem Gesang, mit dem Weingott, vielverheißend
Und der Lieblingin
Des Griechenlandes
Der meergeborenen, schiklich
Blikenden das gewaltige Gut ans Ufer.

während die späte einfügung des beide von Beißner getrennt und nur in der grundschicht edierte segmente zusätzlich verbindenden Dionysos-verweises '…wie eines Ammenkinds' (sigma 270) und so auch die damit zusammenhängende änderung dieser zeile auch nach Beißnersche praxis ebensogut als 'Zweite Fassung' und nicht bloß als 'Lesart' hätte ediert werden können, bedurfte der durch das verbum 'rauschet' herbeigeführte rapport 'darob vielahnend // Die Eiche rauschet, :: Wie Meeresküsten' (sigma 115/2, 116/1) nur der einsicht, daß der dichter hier, wie an zahlreichen anderen stellen, in umgekehrter richtung von der rechten zur gegenüberliegenden verso-seite überging; ein weder bewundernder noch ablehnender leser hätte zunächst zu prüfen, welche der nicht gezählten, sicher annähernd tausend rapportstellen als beweis für jene als axiom zugrunde gelegte intention des dichters gelten können; erst danach wäre zu fragen, wo der herausgeber sich geirrt haben könnte, wo er zu viel gewagt hat oder inkonsequent verfuhr
wenn ich mir Hölderlins nachlaß als eine fruchtbare, aber nicht überall leicht zugängliche landschaft denke, sehe ich mich als einen, der den versuch unternommen hat, die von 200jähriger rezeption plattgewalzten felder neu umzubrechen und die unzugänglicheren bereiche urbar zu machen, als einen also, der mit der ganzen kraft seiner arme gepflügt, aber noch nicht zeit gefunden hat, das gepflügte zu eggen, und diese arbeit auch gern anderen überlassen würde
Ihr kurzer, aber freundlicher brief hat mich zu diesem bekenntnis veranlaßt, und so bin ich
mit freundlichen grüßen
Ihr
D E Sattler