/ bach-projekt /


8. 3. 2002

canon triplex à 6 voc: (bildnis-kanon; bwv 1076)

der kanon stimmt bis auf eine geringfügige, die artikulation betreffende abwandlung mit dem gleichnamigen, als 13. (brv [49]) der 14 handschriftlich in Bachs handexemplar der vierten klavierübung (Goldberg-variationen) eingetragenen kanons überein; dem komponierten text nach ist diese zwischen variatio 29 und 30 einzufügende gruppe (vide bach-projekt / bremer verzeichnis: brv 36/1.36/2) im zuge jener größeren arbeit, vmtl also um 1741/42, entstanden; Bach komponierte ihn demnach nicht eigens ‘für sein 1746 von Haußmann gemaltes Porträt’; (so Christoph Wolff in krb VIII/1/33); er modifizierte vielmehr den früher entstandenen kanon im hinblick auf den hier gewählten text

in der obersten linie der früheren gestalt steht zweimal die halbe note d (statt der viertelnote d mit folgender viertelpause); die hier insgesamt sechsmal über den repetitionsklammern gesetzten signae congruentiae erscheinen dort nur dreimal, und zwar unmittelbar nach dem öffnenden reprisezeichen; im rahmen der vertonung von psalm I - XXV vokalisiert die frühere gestalt den beginn von psalm XXIV: die erde ist des herrn  und was drinnen ist  der erdboden und was drauf wohnet. denn er hat ihn an die die meere gegründet  und an den wassern bereitet. wer wird auf des herrn berg gehen? und wer wird stehen an seiner heiligen stätte?

der geänderten artikulation und der verdopplung der schlußzeichen nach beginnt der hier gewählte, umfangreichere text mit einem betont einsilbigen wort; das sonst redundante schlußzeichen am ende verweist auf die auflösung des offenen schlusses im takt zu beginn des zu repetierenden teils; das hermeneutische problem der textfindung ist jedoch nur zu lösen, wenn zu dieser ersten, unscharfen eingrenzung weitere analogieschlüsse treten

dem ernsten bildnis und der diktion des kanons entspricht der ton des frühen, per canonem gesetzten choralvorspiels bwv 714 ach gott und herr wie groß und schwer sind mein begangne sünden! da ist niemand der helfen kann auf dieser welt zu finden; unter der voraussetzung, daß Bach dem bildniskanon wiederum ein psalmwort zugrunde legte, wäre die probe mit den wenigen kürzeren dieses tons zu machen; in betracht kämen vor allem CXX: ich rufe zu dem herrn… und CXXI: ich hebe meine augen auf…; für dieses zweite, zugleich kinder und enkel segnende lied im höhern chor spricht vorab schon das im bild sichtbare trostwort: der herr ist dein schatten über deiner rechten hand

das maß wird bestimmt vom neunzehnsilbigen introitus ich hebe meine augen auf zu den bergen von welchen mir hilfe kommt; diesem längsten von den insgesamt acht kanonisch durchzuführenden segmenten entspricht die notenzahl in der dritten und kürzesten, syllabisch zu artikulierenden linie des canon triplex (eingang 3, zirkel 3 x 5, ausgang 1); da die silbenzahl jener acht psalmsegmente zwischen 16 und 19 schwankt und auch inhalt und rhythmus die artikulation jeder stimme anders modifizieren, umfaßt der kanon in seiner ausgeschriebenen gestalt 72 takte: 8 x 8 + 8 (umlaufender schluß)